Jijé

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Joseph Gillain alias Jijé (*13.1.1914 in Gedinne; † 19.6.1980 in Versailles) war ein belgischer Comiczeichner und -autor sowohl realistischer als auch humoristischer Comics. Als Initiator einer der beiden großen belgischen Zeichentraditionen, der nach dem Sitz des Spirou-Verlags Dupuis benannten École de Marcinelle, wird er in punkto Einfluss und Wichtigkeit gemeinhin in einem Atemzug mit Hergé und Franquin genannt. Er half vielen bedeutenden Comic-Künstlern auf die Beine und inspirierte zeichnerisch die nach seinem Tod entstandene Nouvelle Ligne Claire.

Joseph Gillain wuchs in einer großen Familie als viertes von acht Kindern auf und besuchte bereits mit 14 Jahren die École Saint-Joseph des Benediktinerklosters Maredsous, wo er drei Jahre lang das Kunstgewerbe erlernte. 1931/32 folgten ein Job in einer Motorradfabrik und Abendkurse im Zeichnen an der Universität Charleroi. In Brüssel studierte Gillain 1932/33 tagsüber an der École de la Cambre und abends an der Académie des Beaux-Arts. Nach seinem Wehrdienst arbeitete er ab 1935 als Illustrator für das katholische Magazin La Semaine du Croisé, für das er von 1936 bis 1939 auch seine erste Comicserie gestaltete. Die Abenteuer der Tintin-Kopie Jojo waren ganz im Stil Hergés gehalten, der offensichtlich auch den hierfür erstmals verwendeten Künstlernamen Jijé inspiriert hatte. Jijés zweite, wesentlich bekanntere Serie war Blondin et Cirage (dt. Blondin und Cirage, ein Album bei Heinzelmännchen) um einen eifrigen kleinen "Weißen" namens Blondin und den kleinen "Schwarzen" Cirage, der die Fehler seines Freundes mit Humor wieder ausbügelt. Die ersten drei Abenteuer des Duos erschienen von 1939 bis 1942 in Les Petits Belges, und während der Arbeit daran löste sich der Zeichner vom Stil Hergés.

Ebenfalls ab 1939 begann Jijé seine Arbeit für das im Jahr zuvor von Dupuis ins Leben gerufene Magazin Spirou, zu dessen treibender Kraft während des Zweiten Weltkriegs er sich schnell emporschwang. Aufgrund des Ausbleibens von US-amerikanischem Lizenzmaterial zeichnete er anfangs kurze Ersatz-Episoden für Fred Harmans Red Ryder und Siegel & Shusters Superman. Seine ersten eigenen Comicbeiträge zum Magazin waren 1939 "Freddy Fred - Le mystère de la clef hindoue" und von 1939 bis 1941 "Trinet et Trinette dans l'Himalaya" (eine weitere Episode mit diesem Duo, "Du sang sur la neige", kam nur noch als Fragment zum Abdruck und diente elf Jahre später als Basis für das Blondin et Cirage-Abenteuer "Kamiliola").

Ab 1941 wandte sich Jijé in Spirou verstärkt realistisch gezeichneten Comics zu und schuf mit den Monumentalwerken "Don Bosco, ami des jeunes" (1941/42) und "Christophe Colomb" (1942-1945) seine ersten Comic-Biographien. Zusammen mit dem damaligen Chefredakteur Jean Doisy (d.i. Georges Evrard) schuf er 1941 zudem die Detektivserie Jean Valhardi (dt.: Kouki bei Kauka und Valhardi & Co, Abenteurer bei Carlsen), deren anfangs leicht karikierender Stil ebenfalls schnell einem größeren Realismus wich. Den Funnies blieb der Zeichner mit seiner Arbeit an der Titelserie des Magazins treu: Bereits 1940/41 hatte er sich ein halbes Jahr lang vertretungsweise um Spirou (dt. bei Carlsen) gekümmert, als dessen Schöpfer Rob-Vel sich in Kriegsgefangenschaft befand. 1943 übernahm er den abenteuerlustigen Pagen schließlich ganz, fügte auf den Rat Doisys hin den Sidekick Fantasio hinzu, und verhalf der Serie so zu einem unschätzbaren qualitativen Quantensprung.

Nach dem Krieg fing Jijé an, sich um den zeichnerischen Nachwuchs für das Magazin zu kümmern, und nahm die aufstrebenden Jungtalente André Franquin, Morris und Will unter seine Fittiche. Die gemeinsame Arbeit der legendären "Viererbande" ("La bande à quatre") in seinem damaligen Haus und Studio in Waterloo war die Geburtsstunde der École de Marcinelle. Mitte 1946 übergab er Spirou et Fantasio an Franquin und Valhardi vorübergehend an Eddy Paape, um sich ganz auf sein nächstes großes Projekt konzentrieren zu können, eine Comic-Version des Neuen Testaments. Das in Waschtechnik realisierte und in Kooperation mit dem Geistlichen Henri Balthasar entstandene Ergebnis "Emmanuel - La vie de Jésus en bandes dessinées" erschien 1947 in zwei Bänden bei Dupuis.

Im August 1948 beschloss Jijé, der dem neugewonnenen Frieden in Europa nicht traute, mit seiner jungen Familie ins "Mekka der Comics", die USA, auszuwandern. Morris, der für Disney arbeiten wollte, und Franquin schlossen sich ihm an, der zu junge Will blieb in Belgien. Aufgrund von Visa-Problemen verbrachten die drei Künstler mittendrin auch ein halbes Jahr in Mexiko. Ihre Comicseiten schickten sie Dupuis per Post. Während dieser Phase realisierte Jijé den größten Teil zweier weiterer Comic-Biographien. Baden Powell (dt. im Heiteren Fridolin 30-41 und als Album bei Comicothek) erschien von 1948 bis 1950 in Spirou, während eine Neuversion seines Don Bosco 1949/50 in Le Moustique zum Abdruck kam (dt. als Album bei Canisi Edition). Franquin kehrte bereits im Juli 1949 zurück nach Belgien, Jijé folgte im Juli 1950, Morris blieb noch bis 1955 in den USA.

Die Funnies nicht aus den Augen verlierend, lieferte Jijé in Vertretung Franquins 1949 und 1951 noch zwei kürzere Spirou-Episoden ab (von denen die zweite bereits anachronistisch wirkte) und arbeitete schließlich von 1951 bis 1955 an neuen Episoden mit Blondin et Cirage, deren erstes in Spirou erschienenes Abenteuer 1947 Victor Hubinon gezeichnet hatte. 1954 schuf der Zeichner mit Jerry Spring (dt. bei Bastei, Condor und Carlsen sowie ab Oktober 2010 als Gesamtausgabe bei Ehapa) die erste bedeutende europäische Western-Serie im realistischen Stil, die er - meist nach eigenen Szenarios - zunächst bis 1967 gestaltete. Die sich durch eine authentische Darstellung des Westens auszeichnenden Abenteuer von Westernheld Jerry und seinem mexikanischen Freund Pancho stellen Jijés umfangreichstes und rückblickend wichtigstes Werk dar. Das Ersterscheinen der Serie fiel mit der endgültigen Sesshaftwerdung der Gillains ein knappes Jahr später in Champrosay, unweit von Paris, zusammen. Nach Beendigung von Blondin et Cirage nahm Jijé von 1956 bis 1965 die Arbeit an Valhardi wieder auf. Die neuen Abenteuer standen ganz im Zeichen der Swinging Sixties, zum Titelhelden gesellte sich fortan der jugendliche Sidekick Gégène. Zwei Szenarios steuerte Philip (d.i. Philippe Gillain, Jijés Sohn) bei, an den letzten drei Episoden wirkte Guy Mouminoux als Szenarist und zeichnerischer Assistent für die Autos mit. 1959 entstand mit Charles de Foucauld (dt. bei Comicothek und Canisi Edition) eine weitere Comic-Biographie für Spirou.

1958 klopfte der junge Jean Giraud bei Jijé an, um ihm seine Zeichnungen zu zeigen. Während vieler Treffen in Champrosay, bei denen der Altmeister dem Anfänger mit Rat und Tat zur Seite stand, entwickelte sich zwischen den beiden eine Vater-und-Sohn-ähnliche Beziehung. 1961 tuschte Giraud die Jerry Spring-Episode "La Route de Coronado" und zwei Jahre später fand er sich durch die Fürsprache Jijés als Zeichner einer von Jean-Michel Charlier für Pilote geschaffenen Western-Serie wieder, die ihn zum Star machen sollte: Fort Navajo (später: Blueberry). Als Giraud sich 1964/65 in Mexiko aufhielt, zeichnete Jijé in Vertretung neun Seiten der Episode "Tonnerre à l'ouest" und zweiundzwanzig von "Le cavalier perdu".

1966 übernahm Jijé bis zu seinem Tod die Zeichnungen der ebenfalls von Charlier geschriebenen und ursprünglich von Albert Uderzo gezeichneten Fliegerserie Tanguy et Laverdure (dt.: Mick Tangy in Zack und bei Carlsen bzw. Die Abenteuer von Tanguy und Laverdure bei Kult und als Ehapa-Gesamtausgabe). Seine Beiträge erschienen anfangs noch in Pilote, später in Tintin und dem frankobelgischen Zack-Pendant Super-As. 1974 kehrte er nach siebenjähriger Abstinenz zu Spirou zurück und zeichnete nach Szenarios von Philip bis 1977 drei letzte Jerry Spring-Abenteuer. 1977 steuerte er zur Spirou-Beilage Le Trombone Illustré sechs Gags mit dem Titel Que Barbaridad! (um den Mexikaner Pancho!) bei. Sein letzter Beitrag zum Magazin waren 1979 zwei Seiten der Boule et Bill-Hommage "Bill a disparu". Nachdem er vertretungsweise bereits 1967 neun Seiten der Barbe-Rouge-Episode "Pirate sans Visage" beigesteuert hatte, gingen nach dem Tode Hubinons die Zeichnungen auch dieser Charlier-Kreation an Jijé über. Gemeinsam mit Lorg (d.i. Laurent Gillain, sein Sohn) zeichnete er 1979/80 zwei Alben der Piratenserie, ein angefangenes drittes wurde von Nachfolger Gaty (d.i. Christian Catignol) beendet, nachdem auch Jijé das Zeitliche gesegnet hatte (dt.: Der rote Korsar 18-20 bei Carlsen).

Bleiben noch einige obskurere Arbeiten aus dem langjährigen Schaffen des Künstlers zu erwähnen: Im Dupuis'schen Frauenmagazin Les Bonnes Soirées erschien 1952/53 der One-Shot "El Senserenico" (nach Flora Sabeiran), gefolgt 1954 von "Blanc Casque" in Le Moustique (nach einem Roman des Missionars Jules-Joseph Pirot). 1958 kamen im Mädchenmagazin Line von Lombard die ersten 19 von insgesamt 30 Seiten eines Comics um die heilige "Bernadette Soubirous" zum Abdruck (späterer Albumtitel: "L'étrange destin de Bernadette", dt. "Bernadette von Lourdes" bei Canisi Edition). Von 1959 bis 1961 wirkte Jijé am Werbeheft Bonux Boy mit und half unter anderem Benoît (d.i. Benoît Gillain, sein Sohn) bei der Gestaltung der Titelserie. 1964/65 gab er Herbert (d.i. Herbert Geldhof) und Szenarist Charles Jadoul zeichnerische Starthilfe bei den ersten beiden Episoden der Spirou-Serie Docteur Gladstone. Der Tageszeitung La Voix du Nord steuerte er nach Szenarios von Jean-Paul Rouland und Claude Olivier zwischen 1971 und 1973 insgesamt 65 Seiten des Rätselcomics Les Enquêtes du Commissaire Major bei.

Jijé starb 1980 nach langer Krankheit, sein nächstes Projekt hätte eine Comic-Biographie von Jeanne d'Arc nach Szenario von Benoît Patar werden sollen. Seit 1991 wird sein Werk von Dupuis mit der Gesamtausgabe Tout Jijé gewürdigt. 2004 eröffnete im Herzen Brüssels das kurzlebige Musée Jijé, das 2006 nach einjähriger Schließung als Maison de la Bande Dessinée wieder eröffnet wurde.

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interesting trivia:


  • Jijé war nicht nur "Interimszeichner" bei Superman, Red Ryder, Spirou (1940), Blueberry und Der rote Korsar (1967), sondern konnte seine Finger auch von Lucky Luke nicht lassen: Einige Panels der frühen Episode "Desperado City" von 1948 stammen von ihm. Sehr viel später, wenige Monate vor seinem Tod, hatte er Morris sogar ein komplettes Lucky Luke-Szenario vorgeschlagen, das von seinem Ex-Schüler jedoch nicht verwendet wurde.
  • 1973 assistierte Jijé in Neumexiko beim Dreh einiger Szenen des Films "My Name is Nobody" von Regisseur Tonino Valerii und Produzent Sergio Leone. Der Plan von Charles Dupuis, eine neue Comic-Reihe auf Basis großer Kino-Western zu starten, wurde aufgrund der finanziellen Forderungen Leones schnell ad acta gelegt, es existieren jedoch ca. zehn unveröffentlichte Seiten einer von Jijé begonnenen Comic-Adaption des Films.


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